Der Swing ist wie ein Körperteil von mir

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Andrej Hermlin ist ohne Zweifel ein Großmeister des Swing und als solcher in diesem Herbst endlich wieder live unterwegs. Bevor er am 10. Oktober mit seinen Swingin‘ Hermlins in den Erfurter Kaisersaal kommt, sprachen wir mit ihm über Möglichkeiten, auch zu Pandemiezeiten für das Publikum da sein zu können, seine stetig anwachsende ‘Hermlinville-Familie‘ und die unerschöpfliche Kraft, die in der Musik der 30er und 40er Jahre steckt.

Swingin’ Hermlins (Foto: Uwe Hauth)

In den vergangenen Jahren führten Sie Tourneen um die ganze Welt – dann kam die Pandemie und auch Sie mussten daheim bleiben. Womit haben Sie sich die Zeit vertrieben? Konnten Sie die Füße still halten?

Andrej Hermlin: Nun ja. Wir haben etwas gemacht, was aus unverständlichen Gründen viele andere leider nicht gemacht haben. Die meisten Künstler sind ja in einen Zustand des Schocks und der Trauer und der Verzweiflung verfallen. Und das wollten wir nicht – wir wollten die Musik, die wir lieben, die Musik des Swing weiterspielen und es war meine Frau Joyce, die die Idee hatte, eine Sendung zu beginnen. Wir haben daraufhin am 15. März 2020 mit „The Music Goes Round And Around“ angefangen und unseren Zuschauern das Versprechen gegeben, dass wir so lange senden würden wie die Krise andauert. Inzwischen sind wir bei annähernd 550 Sendungen angekommen, wir haben keinen einzigen Tag ausgelassen. Und diese Sendung haben wir mit einer neuen Band begonnen – das ist auch die Band, mit der wir nach Erfurt kommen werden: The Swingin‘ Hermlins. Da sind auch einzelne Musiker aus dem Swing Dance Orchestra dabei, aber auch viele neue. Wir spielen natürlich immer noch Swing Musik, aber es ist eine Band, die vielleicht fröhlicher, verrückter ist als das, was wir vorher hatten.

Sie haben also gezielt nach Möglichkeiten gesucht, Ihr Publikum auch während der Lockdown-Zeit zu erreichen?

Hermlin: Auf jeden Fall! Wir haben uns gesagt, wenn wir aktuell nicht mehr in der Philharmonie spielen können, dann müssen wir also neue Wege finden, sein Publikum zu erreichen. Einerseits eben durch die Sendung, andererseits aber auch durch Straßenmusik, durch Musik im Park, durch kleine Veranstaltungen. Viele Musiker haben das abgelehnt, weil sie vielleicht die ihnen vertrauten Gagen haben wollten, sich nicht dazu herablassen wollten, aus der Philharmonie plötzlich hinaus auf die Straße gehen zu müssen – für mich war das jedoch etwas, was mich sehr glücklich gemacht hat und weiterhin glücklich macht: eben nah an den Menschen dran zu sein, für sie an den verrücktesten Orten zu spielen, die man sich denken kann. In der Folge haben wir in den vergangenen anderthalb Jahren so viel zu tun gehabt wie noch nie zuvor.

Welche Rückmeldungen haben Sie von Seiten des Publikums erhalten?

Hermlin: Teilweise enorm emotional. Ich glaube, dass die Menschen sich das merken: Da war eine Band, die in dieser schweren Zeit für uns da war. Die Musik, die wir spielen, war ja in den 1930er Jahren in der Zeit der Großen Depression in den USA auch eine Musik, die Hoffnung gab und in gewisser Weise hat sie diese Funktion jetzt wieder. Der Swing ist eine Musik, die Menschen dazu bringt, zu tanzen und aufzustehen, den Rücken gerade zu machen, sich zu freuen und mit Optimismus in die Zukunft zu blicken.

Und das ist es auch, dass den Swing für Sie seit Jahrzehnten zu einem nie vergehenden Evergreen macht?

Hermlin: Naja, ich kann das schlecht definieren, weil ich mich ja schon als kleiner Junge in diese Musik verliebt habe – ich sage immer, der Swing ist wie ein Körperteil von mir. Es ist eine Liebe, die bis heute unerschüttert ist – sie ist sogar gewachsen. Mein Ziel war immer, anderen Menschen diese Musik vorzuspielen – schaut doch mal, wie schön die ist – und die Begeisterung dafür zu wecken.

Seit ein paar Jahren sind auch Ihre beiden Kinder Rachel und David Hermlin fester Bestandteil Ihrer Band, die damit zu einem richtigen Familienunternehmen geworden ist, oder?

Hermlin: Total! Wir betrachten uns tatsächlich alle als Familie – auch die anderen Musiker sind Teil dieser großen Familie. Wir unternehmen auch gemeinsam viel zusammen. Im Grunde reicht diese Familie sogar über die Swingin‘ Hermlins hinaus bis in diese Hermlinville-Gemeinschaft, die sich im Zuge unserer Sendung „The Music Goes Round And Around“ gegründet hat. Das sind Menschen in Uganda, das sind Menschen in Israel, in Zypern, Mexico, USA, Dänemark, Menschen, die sich vorher gar nicht gekannt haben, nichts voneinander wussten und durch uns, durch unsere tägliche Sendung zusammengeführt worden sind. Das ist eine große Bereicherung.

Vielen Dank für das Gespräch. Interview: Matthias Eichardt

Rachel & Andrej HermlinThe SwinginHermlins live

10.10.2021, 16 Uhr, Kaisersaal Erfurt