Das Patentrezept für jeden müßigen Wintertag? Ein behagliches Plätzchen, eine warme Kanne Tee und natürlich: ein gutes Buch. Sollte es Ihnen dabei noch an geeignetem Lektürematerial mangeln, wir hätten da noch ein paar Leseempfehlungen – die wir gern mit Ihnen teilen.
Perspektivenreiche Annäherung: Erling Kagges „Mein Nordpol. Eine Biografie“
Der Nordpol ist schon seit ewigen Zeiten ein Faszinosum – war es schon lange bevor erstmals ein Mensch seinen Fuß auf den nördlichsten Punkt des Erdballs setzte. In den ältesten historischen Zeugnissen galt er als ein paradiesisches Land außerhalb der bekannten Welt, im Mittelalter und während der Renaissance versuchte man ihm über eine Erkundung des Sternenhimmels ‘näher‘ zu kommen. Polfahrer wie Fridtjof Nansen, Hjalmar Johansen und Roald Amundsen sind bis heute berühmt, ihre Entdeckungs- bzw. Wettfahrten legendär.

Auch für den Norweger Erling Kagge wurde der Nordpol schon früh zu einem Sehnsuchtsort. Zum siebten Geburtstag bekam er von seinen Eltern einen Globus geschenkt. Er war begeistert von all den Ländern und Meeren, die die Erde ausmachten – insbesondere jedoch fasziniert von jenem obersten Punkt auf dem Globus, der da inmitten einer blaugrauen Fläche weiß und makellos schimmerte: der Nordpol. Ob man auch dorthin reisen könne – und wenn ja, wie? Zwanzig Jahre später konnte er darauf selbst eine Antwort geben: Am 4. Mai 1990 erreichte er zusammen mit Børge Ousland den Sehnsuchtsort seiner Kindheit. Nachdem sie 59 Tage lang auf Skiern ihre Schlitten durch Kälte, Eis und Schnee gezogen hatten.
Wie es ihm gelang, sich seinen Kindheitstraum zu erfüllen, davon erzählt Erling Kagge nun in seinem außergewöhnlich vielschichtigen und fesselnden Buch „Mein Nordpol. Eine Biografie“ – welches, wie es der Untertitel bereits andeutet, weit mehr ist als der klassische Report einer abenteuerlichen Expedition. Denn Kagge ist nicht nur Abenteurer (als erster Mensch überhaupt erreichte er zu Fuß den Nord- und den Südpol sowie den Gipfel des Mount Everest), er ist auch Kunstsammler, Verleger und Philosoph. „Mein Nordpol“ ist daher nicht nur ein Abbild seiner eigenen Eroberung des Nordpols, sondern auch ein facettenreiches Porträt, eine „Biografie“ dieses besonderen irdischen Punkts. Kagge nähert sich dem Pol hier sowohl aus himmlischer und imaginärer als auch aus geografischer und physikalischer und schließlich eben auch aus historischer, politischer, kultureller und philosophischer Perspektive. In einem leichten, eleganten Stil verknüpft er die extreme Erfahrung seiner Poleroberung mit Reflektionen über unser Verhältnis zur Natur, deren mitunter brutal anmutender Schönheit und unserem nie schwindenden Begehren, diese allumfassend kontrollieren zu können.
Bestätigung für seinen einst in Kindheitstagen formulierter Wunsch, den Nordpol selbst einmal mit eigenen Augen zu sehen, findet Kagge zwar in der Feststellung, hier wirklich an einen außergewöhnlichen Ort gelangt zu sein: „Ich war in vielen Teilen der Welt zu Fuß und auf Skiern unterwegs, bin geklettert und gesegelt. Alle Berge, Hochebenen, Wälder und Meere, die ich gesehen haben, ließen sich mit anderen Orten vergleichen. Nur ein Ort war wie kein anderer: der Nordpol.“ Als er und sein Mitstreiter den Pol nach 59 strapaziösen Tagen im ewigen Eis erreichen, können sie sich dennoch nicht des Gefühls erwehren, einem Trugbild aufgesessen zu sein: Außer Wasser, Eis und Nebel gibt es an ihrem Zielpunkt nicht zu sehen – nichts Bedeutsames, aus dem sich ein bleibendes Erinnerungsbild formen lassen könnte. „Der Nordpol erinnert an ein abstraktes Gemälde. Nichts ist konkret und doch schafft dieser Ort Mythen, er ist ebenso das Ende wie der Anfang unzähliger Geschichten.“ Und so ist es durchaus nachvollziehbar, wenn Kagge zu guter Letzt resümierend und durchaus weise für sich festhält: „Meine anhaltende Verliebtheit hatte nicht dem Pol gegolten, sondern dem Weg dorthin.“
Erling Kagges „Nordpol-Biografie“ ist ein ebenso hellsichtiges wie lehrreiches Werk, das es einem leicht macht, diesen entlegenen irdischen Flecken intensiv kennenzulernen – ohne dabei seinen heimelig-warmen Leseplatz daheim verlassen zu müssen.
Erling Kagge: „Mein Nordpol. Eine Biografie“
Insel Verlag, 508 Seiten (geb.)








































































































































































































