Sie brauchen dieser dunklen Tage mal wieder frische Lektüreideen? Wissen wieder einmal nicht, was verschenken an Weihnachten? Ein Buch geht immer – und Vorschläge haben wir reichlich. Bis zum 24. Dezember öffnen wir hier täglich ein weiteres Türchen, um Ihnen eines jener Bücher mit dem besonderen Etwas vorzustellen, die dieses Jahr das Licht der Welt erblickt haben. Kommen Sie mit uns auf Adventslese – möglicherweise werden Sie ja fündig. Hinter Türchen Nr. 17 zum Vorschein kommt:
Jörg Fauser: »Kant«
Fausers letzter Streich
Innerhalb der deutschen Literaturszene der 1970er und 1980er nahm Jörg Fauser einen ureigenen Platz ein und auch heute noch wird der eigenwillige (mal als Freak, mal als schräger Vogel kolportierte) Autor als echter Geheimtipp gehandelt unter denen, die erstklassige Literatur abseits vom 08/15-Mainstream lesen wollen.
Jörg Fauser, Sohn eines Künstlers und einer Schauspielerin, geboren 1944 im Taunus, gestorben wie eine seiner Romanfiguren: Im Sommer 1987 auf der A 94 zwischen Feldkirchen und München-Riem, wo er in den frühen Morgenstunden nach seinem 43. Geburtstag mit aller Wahrscheinlichkeit nicht ganz nüchtern unterwegs war und von einem Laster erfasst wurde. Definitiv vor seiner Zeit aus dem Leben gerissen, hinterließ er neben mehreren Romanen einen recht beschaulichen Stapel an Gedichten, Geschichten, Reportagen, Essays und Liedtexten—–alles von einem unverwechselbaren Fauserschen Stil geprägt: viele Dialoge, wenig Adjektive, alles durchsetzt von genialischen Sprachbildern. In der stets ausgeprägten Mixtur aus Lakonie und Melancholie nicht unähnlich den Hard Boiled-Texten von Dashiell Hammett oder Raymond Chandlers, deutlich gezeichnet auch von der Cut Up-Erzählweise eines William S. Burroughs. Im damaligen Literaturbetrieb der Bundesrepublik konnte einer wie er, der die Borniertheiten der damaligen BRD und deren Traditionsmief mit seiner ruppig anmutenden Prosa bloßstellte, nur anecken – und beinahe absehbar 1984 beim Bachmannpreis in Klagenfurt von einem völlig ignoranten, völlig Fausers eigentliche Klasse verkennenden Marcel Reich-Ranicki ziemlich rüde und missgelaunt aus dem Wettbewerb geworfen wurde. Kurzum, Jörg Fauser gehört zu jenen Schriftstellern, die ihrer Zeit voraus waren und leider auch zu jenen, die ihre Würdigung, den eigentlichen Erfolg ihrer Arbeit nicht mehr erleben sollten.
2019, anlässlich Jörg Fausers 75. Geburtstag, hat der Diogenes Verlag begonnen, einzelne, jeweils um ein eigenes Nachwort bereicherte, ziemlich schmuck gestaltete Bände seines mittlerweile nur noch antiquarisch erhältlichen Gesamtwerks neu aufzulegen. Zu den bislang veröffentlichten Büchern (u.a. Fausers genialer autobiografischer Roman „Rohstoff“ (1984), zwei Erzählbände, zwei Krimis und ein Gedichtband) gesellt sich nun ein Kriminalerzählung hinzu, die nicht nur Fausers vielleicht stilistisch ausgereifteste, sondern auch gleichzeitig seine letzte Veröffentlichung darstellt: „Kant“ von 1987.
Bis auf den gleichlautenden Nachnamen und seine selbsterklärte Prämisse, nur Aufträge „mit einem kategorischen Imperativ“ anzunehmen, hat Hezekiel Kant keine nennenswerten weiteren Gemeinsamkeiten mit dem großen Philosophen des 18. Jahrhunderts. Kant ist privat ein charmanter Antiheld, der stets die Nähe des nächsten Bartresens sucht, beruflich als nun ja, maximal mittelmäßig erfolgreicher Privatdetektiv in München unterwegs. Vom Unternehmer Eduard Koopman und seiner schönen, gefährlich schönen Frau Lisa wird er angeheuert, die verlorengegangene fünfzehnjährige Tochter Tutti wiederzufinden, die offenbar zu viel Zeit in den falschen Kreisen verbracht hat. Durchaus im Zweifel über die Redlichkeit bzw. die ‘weißen Westen‘ seiner Auftraggebenden beginnt Kant sich durch die Münchner Unterwelt zu fragen, teilt aus, steckt ein und kommt angesichts des Ärgers, der immer stärker über ihm zusammenschwappt, nicht umhin sich ein ums andere Mal zu fragen, warum zum Henker er überhaupt diesen Auftrag angenommen hat…
Klasse Story, großer Lesespaß: „Kant“ bietet eine perfekte Möglichkeit für den Quereinstieg ins Fausersche Werk.