Winterzeit ist Lesezeit. Teil 1

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Das Patentrezept für jeden müßigen Wintertag? Ein behagliches Plätzchen, eine warme Kanne Tee und natürlich: ein gutes Buch. Sollte es Ihnen dabei noch an geeignetem Lektürematerial mangeln, wir hätten da noch ein paar Leseempfehlungen – die wir gern mit Ihnen teilen. 

Die Geschichte einer Schulmöbelfabrikantenfamilie: Monika Zeiners „Villa Sternbald oder die Unschärfe der Jahre“

Elf Jahre nach ihrem von der Kritik gelobten und für den Deutschen Buchpreis nominiertem Debütroman „Die Ordnung der Sterne über Como“ hat Monika Zeiner im vergangenen Herbst ihren zweiten Roman vorgelegt: „Villa Sternbald oder Die Unschärfe des Jahres“.

Handlungsort dieses gar nicht so unscharf konturierten Romans ist Gründlach in der Nähe Nürnbergs. Auf der Karte braucht man die Kleinstadt nicht suchen, sie ist ein fiktiver Ort – wie auch die Villa Sternbald, die das räumliche Zentrum des Romans und den Stammsitz der Familie des Ich-Erzählers Nikolas Finck bildet. Dessen Ururgroßvater Ferry erfand einst ein Schulmöbel namens Columba-Schulbank, die sich als so neuartig und beliebt erwies, dass sie auf der Erfindermesse in Paris 1897 mit einem Preis bedacht und sogar in die deutschen Kolonien exportiert wurde. Jene Schulbank sollte den Grundstein der Unternehmensgeschichte der Schulmöbelfabrikanten Finck bilden, der weitere Generationen an Fink‘schen Schulmöbelfabrikanten und natürlich auch so manch andere Möbel-Innovationen folgen sollten. 

Monika Zeiner: „Villa Sternbild oder Die Unschärfe der Jahre“
dtv, 672 Seiten (geb.)
Bild: Verlag

Nikolas Finck, den wir bei seiner Heimkehr in den Familienstammsitz begleiten, hat allerdings kein Schulmöbelfabrikantenblut in seinen Adern – er ist der Außenseiter oder, wenn man so will, das schwarze Schaf der Familie. Nach Jahren der Abwesenheit kehrt Niklas anlässlich des Geburtstags seines Großvaters zurück in die imposante Familienvilla. Die neben den üblichen anderen zu Feierlichkeiten erscheinenden Familienmitgliedern allerdings gerade auch ein ganzer Trupp Unternehmensberater beherbergt, wodurch alles noch ein wenig trubeliger gerät, als es Nikolas für sein Wochenende in der Heimat erwartet hat. Das Schulmöbelunternehmen plant den nächsten großen Schritt und will an die Börse. Während die Unternehmensberater sich nun vor allem darauf konzentrieren, die (ökonomische) Gegenwart der Fincks zu durchleuchten, verlegt sich Nikolas in der ihm zugewiesenen Dachkammer darauf, mit der alles andere als durchweg rühmlichen Geschichte seiner Familie auseinanderzusetzen. Denn wie viele andere Industrielle des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sind auch die Fincks stets darum bemüht gewesen, ihr Fähnchen dem jeweils wehenden Wind anzupassen, um das Familienimperium keiner ‘Gefahr‘ auszusetzen; wie viele andere Unternehmer haben auch die politisch angepassten Fincks sich in den Jahren zwischen 1933 und 1945 entsprechend nicht gerade mit Ruhm bekleckert. 

Und so beginnt Nikolas in die Vergangenheit der Familie hinabzusteigen, erzählt von seiner Kindheit und der ersten Liebe, von der Erfindung besagter Columba-Schulbank, berichtet vom traurigen Insektenforscher Jean und der glasflügeligen Edith, von nächtlichen Flugstunden mit dem heiligen Sebald und den beiden Frauen, die er vielleicht noch immer liebt. Während im Haus eine Ausstellung übers „Klassenzimmer im Wandel der Zeit“ und das anstehende Firmenjubiläum vorbereitet werden, stört er das Treiben, um das Dunkle in der Familiengeschichte ans Licht zu bringen, vor allem aber um sich selbst neu zu verorten. Aus dem geplanten Wochenende wird alsbald ein ganzes Jahr…

Man kann „Villa Sternbald oder die Unschärfe der Jahre“ als schichtenreichen Erinnerungsroman lesen, als psychologisch facettenreiche Familienchronik, als ausschweifenden Lügenroman oder auch als wunderbar herausgearbeitetes Gesellschaftspanorama mit Referenzen zu Thomas Mann, Marcel Proust und Michel Foucault. In jedem Fall bereitet es große Freude, sich durch die immer wieder herrlich komischen Familienanekdoten und schrulligen Charakterporträts hindurchzuwühlen, die der nicht ganz zuverlässige, aber durchweg charmante Erzähler hier in assoziativer Verkettung durch die Jahrzehnte und Generationen springend vor unser Augen ausbreitet. Monika Zeiners Romanzweitling kommt einem – wahrscheinlich nicht ganz unbeabsichtigt – vor wie eine Geschichte, die man schon einmal gelesen hat, seltsam vertraut und die sich dann trotzdem neu und vor allem unglaublich einnehmend erweist. Ein Buch, das man lesen und dann mit Empfehlung weitergeben möchte – einfach nur, weil diese Geschichte einer Schulmöbelfabrikantenfamilie so wunderbar erzählt ist.

Monika Zeiner: „Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre“

dtv, 672 Seiten (geb.)