Winterzeit ist Lesezeit. Teil 3

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Das Patentrezept für jeden müßigen Wintertag? Ein behagliches Plätzchen, eine warme Kanne Tee und natürlich: ein gutes Buch. Sollte es Ihnen dabei noch an geeignetem Lektürematerial mangeln, wir hätten da noch ein paar Leseempfehlungen – die wir gern mit Ihnen teilen. 

Traurig und wunderschön zugleich: Ulrich Rüdenauers „Abseits“

Ulrich Rüdenauer trat bislang vor allem als wortgewandter Literaturkritiker für Presse und Rundfunk in Erscheinung. Jetzt hat er die Seiten gewechselt und sein eigenes Debüt vorgelegt: „Abseits“ – einen Roman, der ins Jahr 1954 führt. In jenes Jahr also, in dem Deutschland nach dem „Wunder von Bern“ Fußball-Weltmeister wurde. Einige Spieler der glorreichen Weltmeisterelf kuren später im Süden des Landes in „Bad M.“ und bringen viel Welt ins nur vermeintlich idyllische Hinterland. Die Spuren des erst wenige Jahre zurückliegenden Krieges sind hier noch lange nicht verwachsen. In Bad M. wächst auch der neunjährige Richard auf. Außer der wunderbar anmutenden Madonna, die beim Onkel in der Stube auf einem Bild zu sehen ist, hat der Bub noch nicht viel Freude und Geborgenheit in seinem Leben erfahren. Eine Kindheit ohne Vater, ohne Mutter ist ihm beschieden, wohin sie verschwunden sind, bleibt lange ein Geheimnis. Bei der Verwandtschaft ist er untergekommen und wächst auf im „Hofgefängnis“ – ungeliebt, ausgeschlossen und ungeschützt. Es ist eine schweigsame Welt, in der er aufwächst, meist wird eher gegrummelt als gesprochen. Richard muss sehen, wie er zurechtkommt, vor allem auch in der Schule, wo der Dorfpfarrer die Kinder weniger unterrichtet denn ausgiebig malträtiert. Frei und sicher fühlt Richard sich eigentlich nur an der Hand des Großvaters, der ihm bei viel zu seltenen gemeinsamen Streifzügen auf den Wiesen hinterm Hügel die Vögel und Pflanzen beim Namen benennt. 

Ulrich Rüdenauer „Abseits“
Berenberg, 192 Seiten (geb.)
Bild: Verlag

Und dann inmitten in der Kargheit dieses alles duldenden, alles still ertragenden Alltags: das plötzliche Erscheinen der glorifizierten Fußballhelden im Dorf – einem von ihnen, dem Linksaußen Karl Mai, wird er näherkommen und in seinem kaputten Kindsein ein wenig Heilung erfahren.

Einfühlsam und ergreifend zeichnet Ulrich Rüdenauer in seinem Debütroman die Kindheitsstationen eines Jungen nach, der in der Nachkriegszeit inmitten einer ablehnenden Umgebung im Abseits steht – und seinen eigenen Weg finden muss. Es ist eine Kindheitsgeschichte, in dem das Schlechte und das Gute, das Freudlose und das Tröstende einander ablösen – eine Geschichte, die in ihrer sprachlichen Kunstfertigkeit zugleich traurig und wunderschön ist. Klarer Lektüretipp für die Winterzeit!

Ulrich Rüdenauer: „Abseits“

Berenberg, 192 Seiten (geb.)