Das Patentrezept für jeden müßigen Wintertag? Ein behagliches Plätzchen, eine warme Kanne Tee und natürlich: ein gutes Buch. Sollte es Ihnen dabei noch an geeignetem Lektürematerial mangeln, wir hätten da noch ein paar Leseempfehlungen – die wir gern mit Ihnen teilen.
Emotionale Achterbahnfahrt: Anton Weils „Super einsam“
Junge Menschen in Deutschland fühlen sich laut einer kürzlich veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Techniker Krankenkasse öfter einsam als ältere. Fast 70 Prozent der befragten 18- bis 39-Jährigen gaben an, häufig oder zeitweise einsam zu sein. Anton Weils Roman „Super einsam“ ist zwar kein Bestandteil dieser Studie, bestätigt deren Ergebnis aber irgendwie auf ureigene Weise: Vito, gerade frische 30 Jahre alt, möchte raus aus seiner Haut, aus seinem gerade völlig verqueren Leben. Die Freundin hat ihn verlassen, die zuvor zweisam geteilte Wohnung fühlt sich jetzt nur noch kalt und leer an, löst konstant Fluchtimpulse in ihm aus. In den ihm längst schal, längst auftragsarm geworden Job des Sprechers und Schauspielers zu flüchten, dafür findet er auch kaum noch Antrieb, genauso wenig wie er in seinem Vater jemanden findet, der ihn zu trösten vermag. Der ist dazu zwar eigentlich willens, eigentlich sogar von Hause aus ausgebildeter Psychologe, den richtigen Umgang mit seinem von Herzschmerz geplagten, aus sich selbst herausgefallenen Sohn findet er jedoch nicht.
Auch der Wunsch, tröstend, unterstützend, überhaupt einmal von der Mutter in den Arm genommen zu werden, muss unerfüllt bleiben: Diese starb, als Vito 17 Jahre alt war an Krebs, hinterließ in ihrem Sohn ein nie bewältigtes Trauma – zu dem sich jetzt in vermeintlich zusätzlicher Unerträglichkeit noch ein übergroßer, überwältigender Trennungsschmerz gesellt. Ja, Vito ist super einsam. Vito will raus – raus aus seinem unglücklichen Dasein. Zurück in die Vergangenheit, gern zurück an den Atlantik, wo er einst glücklich war als die Mutter noch lebte. Doch weiter als bis in die Kneipe um die Ecke schafft er es gerade irgendwie nicht mehr. Hier, am Tresen, findet er Zuflucht und ertränkt seine Sorgen in Bier. Dieses lässt ihn zumindest vorübergehend vergessen und schmeckt noch dazu gar nicht so verkehrt. In der Folge ist Vito die meiste Zeit betrunken oder zumindest verkatert. Die wenigen Termine, die er noch hat, verpasst oder vergisst er. Auf die Reihe bekommt dieser Vito, wie es zunächst den Anschein macht, nichts mehr. Oder doch..?
Sowohl der Buchtitel als auch der soweit nur sehr verknappt aufgeführte Inhalt dieser von Anton Weil erdachten Geschichte mögen ohne Weiteres einen jeden dazu veranlassen, instinktiv einen großen Bogen um dieses Buch zu machen. Zu viel Lebensklagen, zu viel Melancholie, zu viel Einsamkeit. Doch dann würde man sich jedoch einen richtig gelungenen Debütroman mit großartigem Sound und rasantem Drive entgehen lassen. Denn wie es Anton Weil es vollbringt, gleich von der ersten Seite an in einen zwischen Realität und Traum pendelnden fortwährend vorantreibenden Bewusstseinsstrom hineingleiten zu lassen, um uns den seelischen Ausnahmezustand spürbar werden zu lassen, durch den sein erstaunlich selbstreflektierter, ja tatsächlich auch erstaunlich von Beginn an höchst sympathischer Protagonist taumelt, das ist ziemlich famos, geradezu einzigartig – und erzeugt genau jene enorme Sogwirkung, die man sich eigentlich von jedem Buch erhofft: Man taucht ein in ein anderes (erdachtes) Leben, leidet, freut sich, sucht und wächst gemeinsam mit Vito, driftet durch herrliche Sätze und Gedankengänge und wird am Ende der Geschichte wieder ausgespuckt, froh und traurig zugleich. Froh darüber, an dieser Leseerfahrung teilhaben zu dürfen, traurig darüber, dass sie schon wieder geendet ist.
Anton Weil: „Super einsam“
Kein & Aber, 240 Seiten (geb.)