Nachdem das Publikum der alten künstlerischen Leitung des Theaterhauses Jena zum Sommertheater einen warmen Abschied bereitete, steht nun das neue Führungsteam voller Tatendrang bereit! Wir trafen uns mit Azeret Koua vom Leitungsteam und sprachen über das Auswahlverfahren, demokratische Prozesse an Theatern und die künstlerische Neuausrichtung am Theaterhaus.
Text: Michael Stocker
Wenn in Jena eine neue künstlerische Leitung das Theaterhaus übernimmt, dann ist von vorn herein klar, dass ihre Zeit begrenzt sein wird. Turnusgemäß wird der Staffelstab alle sieben Jahre weitergegeben, was trotz der manchmal schweren Abschiede auch stets Platz für neue und frische Ideen und Konzepte schafft. Auch die aktuelle künstlerische Leitung ist mit viel Elan angetreten, um das Theaterhaus weiterhin als kreativen Ort mitten im Jenaer Stadtzentrum zu führen. Doch wer sind die Neuen eigentlich? „Insgesamt übernehmen wir zu fünft die Leitung“ stellt Azeret Koua sich und ihre KollegInnen vor. „Neben mir sind noch Josef Bäcker, Céline Karow, Daniele Szeredy und Lukas Pergande dabei. Wir kennen uns aus unterschiedlichen Konstellationen – zum Teil aus sehr langen Arbeitsbeziehungen, zum Teil aber auch aus bereits bestehenden Freundschaften. Meine vier MitstreiterInnen waren bis zum Ende der Spielzeit am Staatstheater Braunschweig aktiv, Daniele Szeredy und ich haben aber bereits früher schon in München zusammen gearbeitet.“
Was gab für den Fünfer denn den Ausschlag, sich auf die Führungspositionen des Theaterhauses zu bewerben? „In der Ausschreibung stand sinngemäß, dass junge TheatermacherInnen nur Mut haben sollen, sich zu bewerben. Und in unseren Augen ist man noch jung, bis man Mitte 40 ist“, lacht Azeret Koua. „Und natürlich hat das Theaterhaus Jena einen guten Ruf. Es hat sich herumgesprochen, wie offen und kreativ man hier arbeiten kann und das demokratische Entscheidungsprozesse nicht nur bloßes Gerede sind. Also haben wir uns ein Leitungskonzept überlegt und uns anschließend einfach mal beworben. Als wir die erste Runde tatsächlich überstanden und zur zweiten Runde eingeladen wurden, war das für uns eine große und freudige Überraschung. Und als dann letztes Jahr im April der Anruf kam, dass wir den Zuschlag erhalten, sind wir fast aus allen Wolken gefallen. Das war großartig!“
Kein Spielzeitmotto
Für ihre Premierensaison haben die TheatermacherInnen kein Spielzeitmotto ausgerufen. Dieser etwas ungewöhnliche Schritt hat seinen Grund: „Auch wenn wir jetzt die Leitung übernommen haben, lernen wir trotzdem alles erst nach und nach kennen. Wir möchten kein Motto über den Zaun brechen, das am Ende gar nicht zum Haus oder zur Stadt passt. Deshalb lassen wir uns damit noch ein bisschen Zeit.“
Unter dem Management von Wunderbaum sowie Lizzy Timmers und Maarten van Otterdijk wurden ausschließlich Stückentwicklungen inszeniert. Wird das unter der neuen Leitung auch so sein? „Nein“, sagt Azeret Koua, „obwohl die oftmals autobiografische Stückentwicklung eine wahnsinnig spannende Form des Theatermachens ist. Aber wir haben uns für eine heterogenere Praxis der Aufführungen entschieden. Zuviel möchte ich noch nicht verraten, aber es werden zunächst eine Romanadaption und ein Variablentheater zu sehen sein, bei dem das Publikum die Richtung des Stückes bestimmen wird. Auch eine Kooperation mit einem Haus in Osteuropa bringen wir auf die Bühne. Aber Stückentwicklungen wird es trotzdem weiterhin geben.“ Für alle Interessierten gibt es hier einen besonderen Tipp: am 28. September ist am Theaterhaus der Tag des offenen Theaters, dort wird in einer Pressekonferenz sowohl für die Medien als auch für die Öffentlichkeit das neue Ensemble sowie das Spielzeitprogramm vorgestellt.
Anonymes Bewerbungsverfahren
Insgesamt wird es in der ersten Spielzeit neun Premieren geben. 1/3 von diesen wurden in einem anonymisierten Bewerbungsprozess ausgeschrieben und sollen von zukünftigen Gästen des Hauses inszeniert werden. Und hier wird es richtig spannend, denn anonymisiert bedeutet in diesem Fall, dass die fünf TheatermacherInnen vollkommen ahnungslos waren, wer hinter den Bewerbungen zu den Stücken steckt. „Wie in etlichen anderen Branchen läuft auch beim Theater vieles über das berühmte Vitamin B, also über alte Bekanntschaften. Ich finde, das nimmt vielen Inszenierungen die Möglichkeit, überhaupt wahrgenommen und gezeigt zu werden“, so Azeret Koua. „Oftmals bekommen die immer gleichen Leute die Jobs und wiederholen sich in ihren Geschichten. Das sollte nicht so sein – und deshalb haben wir diesen Weg gewählt.“
Beworben hat sich die ganze Bandbreite an Kulturschaffenden – von Studierenden über Amateure bis hin zu Theater- und Schauspielprofis. „Bei der Vorauswahl haben wir die verschiedenen Gewerke am Haus mit einbezogen, um zu schauen, was technisch und künstlerisch überhaupt möglich ist. Wir als Leitungsteam haben die zahlreichen Bewerbungen dann auf sechs heruntergebrochen. Und aus denen hat die ganze Theaterhaus-Crew ihre Entscheidung für die finalen drei Stücke getroffen.“
Ist das vielleicht so etwas wie die Fortführung des Ensemblerates, der auch überregional für viel Aufsehen gesorgt und für eine noch demokratischere Entscheidungsstruktur am ohne schon sehr hierachiearmen Theaterhaus gesorgt hat? „Ja, kann man so sagen. Wir nennen es aber nicht so, denn es ist auch die Fortführung unseres eigenen Auswahlprozesses. Auch wir wurden in der letzten Entscheidungsrunde von den Mitarbeitenden des Theaterhauses befragt. Das auch wirklich jede Stimme gehört wird, fanden wir ziemlich stark. Mitsprache ist wichtig und das möchten wir gerne fortsetzen.“
Jena und sein Theaterpublikum kann sich also auf eine äußerst spannende Spielzeit mit vielen tollen Ideen und einem engagierten neuen Team freuen. Doch eine Frage muss zum Ende unseres Gesprächs noch beantwortet werden: wie gefällt es der neuen künstlerischen Leitung denn an der Saale? Azeret Koua ist jedenfalls ziemlich angetan: „Die Stadt ist super. Wir sind natürlich noch dabei, alles nach und nach kennenzulernen, aber uns gefällt es hier wirklich gut. Und dass das Theaterhaus als ein Ort nicht nur für Schauspiel, sondern auch als Stätte der Zivilgesellschaft wahrgenommen wird, ist uns schnell aufgefallen. So langsam kommen wir hier richtig an und freuen uns, die Stadt und ihre Leute kennenlernen zu dürfen.“
Our House – Offene Tage am Theaterhaus: am 26.09., 27.09. und 28.09.2024 ab 10 Uhr am Theaterhaus Jena. Am 28.09. findet um 15 Uhr zudem die öffentliche Spielzeitpressekonfernz statt, in welcher das neue Ensemble sowie die neuen Inszenierungen vorgestellt werden. Weitere Informationen sind zu finden unter www.theaterhaus-jena.de!
Dieser Text erschien in Ausgabe Nr.162 im Stadtmagazin07.