Lesestoff für die Frühlingszeit

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Mit dem anhaltenden Lockdown ist der Zugang zu kulturellen Angeboten außerhalb der eigenen vier Wände weiterhin empfindlich eingeschränkt – ein Umstand, der das Buch noch mehr als sonst zu einer willkommenen Alternative werden lässt. Bei der Qual der Wahl der passenden Lektüre stehen wir natürlich gern hilfreich zur Seite — mit Büchertipps zu aktuellen Neuerscheinungen. Heute:

Zwei Neuerscheinungen aus der Insel-Bücherei

Eine Buchreihe wie keine andere

Wer regelmäßig zum Buch greift, dem ist sicher auch schon einmal eine der häufig eher schmal ausfallenden, zumeist schmuck illustrierten, in ihrem Titel- und Rückenbild immer einheitlich gestalteten Ausgaben der Insel Bücherei über den Weg gelaufen. Ist auch nicht wirklich einfach, dieser Buchreihe aus dem Weg zu gehen. Seit dem Erscheinen von Band 1 – Rainer Maria Rilkes „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ – im Jahr 1912 hat diese immerhin bereits an die 1.700 Titel hervorgebracht – und, um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: eines schöner als das andere, egal, ob Lyrik, Prosa oder Ratgebertext, egal, ob Gegenwartsliteratur oder wiederbelebter Klassiker. Mehr noch: ein jedes nicht nur eine Augen-, sonder gleichermaßen, den erlesenen Inhalt betreffend, ein jedes Mal auch eine Seelenweide. Ein Genusserlebnis, das sich sofort einstellt, wenn man eines dieser Bücher in Händen hält und schon bei so manch einem eine völlig ‘unerklärliche‘ Sammelleidenschaft von Insel-Büchern ausgelöst hat. Exemplarisch und zur Bestätigung betrachte man sich nur zwei der jüngst erschienenen Titel.

Illustrierte Märchenklassiker

Hans Christian Andersen: „Die schönsten Märchen“ (Ill.: Hernriette Sauvant)
Insel-Bücherei 2043, 112 Seiten (geb.)

Insel-Bücherei Nr. 2043 (versehen mit einer 2000er-Nummer, da Sonderformat) gehört ab sofort Hans Christian Andersen. Es ist natürlich nicht der erste Auftritt des weltbekannten Dänen, dessen umfassender Märchenschatz in bereits mehr als 80 Sprachen übersetzt wurde. Der letzte Andersen-Titel in der Insel-Bücherei – sein Reisebericht von einem Aufenthalt in der Sächsischen Schweiz – liegt jedoch schon wieder 20 Jahre bzw. mehrere Dutzend anderer Insel-Bücher zurück. Höchste Zeit also, dem dänischen Märchenonkel die Bühne zu bereiten. Und wenn etwas aus dem literarischen Schaffen Andersens für die Insel-Buchreihe tatsächlich wie geschaffen ist, dann seine Märchen – oder vielmehr eine Auswahl seiner schönsten und bekanntesten Märchen. Selbstverständlich gehört da die magische Geschichte vom „Standhaften Zinnsoldaten“ mit dazu, selbstverständlich auch „Des Kaisers neue Kleider“ und der Klassiker schlechthin:„Die Prinzessin auf der Erbse“. Aber auch „Der fliegende Koffer“ und „Tante Zahnweh“ haben definitiv das Zeug zum Andersen-Klassiker und sind daher mit in dieser Sammlung vertreten. Insgesamt acht Märchenklassiker zum Vor- oder nur für sich lesen versammelt der schmucke Band, die, wie sollte es bei einem Insel-Büchlein anders sein, durch die ganzseitigen Bilder der bekannten Illustratorin Henriette Sauvant noch einmal deutlich an Anreiz gewinnen. Wenn bezaubernde Geschichten auf wunderbare Illustrationen treffen, kann es nur einen Gewinner geben: diejenige Person, die sich dieses Buch vor Augen führen darf.

Einzigartiges Zeugnis barocker Buchkultur

Beispiel Nummer zwei: Insel-Bücherei Nr. 2045 – ein Kräuterbuch. Ja, Kräuterbücher gibt es viele, eigentlich schon seit der Antike – die wenigsten davon dürften jedoch so künstlerisch einnehmend gestaltet worden sein wie das handgeschriebene Heilpflanzenrepertorium des Johann Christoph Ende. Mit dem um1680 zusammengestellten und heute im handschriftlichen Original in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrten Kompendium hat die Insel Bücherei ein weiteres Mal einen wahren Schatz gehoben. Erste Besonderheit: Ende, von dem wenig mehr als seine schlesische Herkunft bekannt ist, hat das Buch im Alleingang gefüllt, als Autor und Illustrator, quasi ein Autograf. Und, noch bemerkenswerter: Ende hat jeder der aufgeführten Pflanzen einen filigran herausgearbeiteten Scherenschnitt beiseite gestellt ist, bei denen nicht nur Liebhabern historischer Scherenschnitte die Augen übergehen dürften. Insgesamt 215 aus weißem Papier ausgeschnittene Darstellungen in- und ausländischer Bäume, Stauden und Kräuter zieren das Buch; sämtlich Weißschnitte, die in ihrer Anmutung ungemein lebendig und naturnah, beinahe plastisch, mitunter sogar eleganter als zeitgenössische Holzschnittillustrationen wirken, zudem überaus präzise und sorgfältig ausgeführt sind.

„Das Kräuterbuch des Johann Christoph Ende“
Insel-Bücherei 2045, 144 Seiten (geb.)

Das schlicht „Das Kräuterbuch“ betitelte Werk Endes dürfte in dieser Form zweifellos einzigartig sein. Künstlerischer Genuss: garantiert. Obendrein hält die Kräuterauswahl, welche die Insel-Bücherei hier zusammengestellt hat, selbstverständlich auch noch so manch Wissenswertes (Angaben zu „Gestalt“, „Ort“, „Zeit“, „Wartung“, „Temperament“, „Wirckung“, und besonders ausführlich „Artznei-Gebrauch“) über Kräuter- und Heilpflanzen bereit – Stand 1680 natürlich.

Bei letzteren kommt vor allem dem Aspekt des Wundheilungspotenzials große Aufmerksamkeit zu, ebenso aber auch, ob die Pflanzen etwa gegen die seinerzeit beinahe omnipräsente Pest von Nutzen sind oder bei Frauenleiden, Schwangerschaft und Geburtshilfe zu helfen vermögen. Manch vorgestelltes Gewächs kennen wir heut unter anderem Namen – die Süßkartoffel erscheint bei Ende als „Zuckerwurz“, die Malve als „Herbst-Rose“, das wilde Stiefmütterchen als „Freysamkraut“ – manch anderes Gewächs (Stichwort: Alraune) würden wir heute, zumindest was ihren Nutzen angeht, eher im Bereich der Legende bzw. Alchemie einsortieren.

Interessant auch die Aufnahme der „Thee“-Pflanze ins Kompendium, die zum damaligen Zeitpunkt noch eine völlig neue, exotische und weitgehend unerforschte Pflanze in Europa war. Über Herkunft, Nutzen und Gebrauch weiß der Verfasser immerhin Folgendes zu berichten: „Wird aus China inn Teutschland gebraucht. Sein Nutz ist soweit bekand daß man die Blätter in Warm Waßer weiche, und selbes Wasser auch Warm trinke.“

Johann Christoph Endes Kompendium, wie es in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrt wird, führt insgesamt mehr als 200 Kräuter auf. Der vorliegende Insel-Bücherei-Band präsentiert etwa ein Fünftel davon, transkribiert und fürs 21. Jahrhundert lesbar gemacht. An der ausgewogenen Verteilung von Text und Scherenschnitt-Bildern hat sich zum Glück nichts geändert. Jeder Kunst- und/oder an Kräuterpflanzen Interessierte wird an diesem besonderen Insel-Buch ohne Zweifel seine Freude haben.