Suche nach der familiären Vergangenheit

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Mit der Suche nach der Vergangenheit der eigenen Familie beschäftigt sich das Theaterhaus Jena in seinen Premieren im Mai. In Blut schlüpfen Leon Pfannenmüller und Yevgen Bondarskyy dazu in die Körper ihrer Großväter. In Spuren ist es erneut Leon Pfannenmüller, der sich nun mit Maxim Mamochkin in die Figuren ihrer Großmütter begibt. Wir sprachen mit Dramaturgin Hannah Baumann über die zwei verschiedenen Produktionen.

Viele werden es aus eigener Erfahrung kennen: oft herrscht Unwissen über die Vergangenheit der familiären Historie. Es is schon schwierig genug, gerade einmal 30 Jahre zurück auf das Ende des letzten Jahrtausends zu schauen. Mit jedem weiteren Jahrzehnt werden die Informationen jedoch noch spärlicher. Dokumente gehen verloren, Situationen verklären sich und geraten in Vergessenheit – oder werden bis heute verschwiegen. Doch irgendwann ist es zu spät, noch einmal nachzufragen.

Die Großväter von Leon Pfannenmüller und Yevgen Bondarskyy, der aus der Ukraine stammt, standen sich im Zweiten Weltkrieg als Soldaten auf deutscher und sowjetischer Seite gegenüber. In der Produktion Blut schlüpfen die beiden Schauspieler in die Körper ihrer Großväter. Sie beginnen, nach Antworten auf die Fragen nach Erinnerung, Identität und Verantwortung zu suchen. Hannah Baumann, Dramaturgin der Produktion, gibt einen näheren Einblick: „Blut befasst sich mit den Wissenslücken, die oftmals im Bezug auf die eigene Familiengeschichte vorhanden sind. Zudem schiebt sich im Laufe des Stückes auch immer mehr die Gegenwart nach vorne: wie wird heute mit den unterschiedlichen Geschichten, die die Länder geschrieben haben, auf den Zweiten Weltkrieg zurückgeschaut? Wie finden wir einen gemeinsamen Weg, um über die Vergangenheit zu reden?“

Das Plakat zur Theaterhaus-Produktion Blut ist aktuell im Jenaer Stadtbild zu sehen.
Foto: Jan Dirk van der Burg

Leon Pfannenmüller und Yevgen Bondarskyy haben in ihren Recherchen diejenigen Teile ihrer Familien befragt, die noch Antworten auf die damalige Zeit geben können. Leon Pfannenmüller hat zudem auch im Haus seiner Familie nach alten Dokumenten gesucht, um mehr über seinen Großvater zu erfahren. Der Antrieb, die Familiengeschichte zu hinterfragen, ist bei den Schauspielern aber durchaus unterschiedlich: für Yevgen Bondarskyy ist auch die Geschichte der Ukraine ein Bestandteil der eigenen Historie. Diese war zum damaligen Zeitpunkt ein Teil der Sowjetunion und verlor nach und nach ihre Eigenständigkeit in den Erzählungen über die UdSSR.

Eine weitere Produktion, die erzählerisch zwar eine fast identische Ausgangslage hat, aber eine gänzlich andere Perspektive untersucht, ist die zweite Premiere im Mai: Spuren. Hierzu schlüpft Leon Pfannenmüller nun in die Rolle seiner Großmutter – Maxim Mamochkin, der vor zwei Jahren von Moskau nach Berlin gezogen ist, tut es ihm seinerseits gleich. Beide eint zunächst, dass sie fast nichts über ihre Großmütter wissen. Sicher ist nur, dass die eine unter der Gewalt der Nazis litt und die andere vor den Sowjets floh. Auch hier entwickelt sich eine gemeinsame Suche, die immer wieder an einer Fragestellung aneckt: Was versperrt uns den Blick in die Vergangenheit? Hannah Baumann: „Die beiden Stücke sind eigenständige Produktionen. Es eint sie aber die Thematik, das wir meist nichts von der familiären Biografie unseres Gegenübers wissen. Werden wir diese aber verstehen, wenn sie uns erzählt wird? Dabei spielt natürlich eine große Rolle, in welchem Teil der Welt man sozialisiert und was einem vermittelt wurde und wie viel Zeit mittlerweile vergangen ist.“

Das Plakatmotiv der Theaterhaus-Produktion Spuren.
Foto: Jan Dirk van der Burg.

Eine Frage steht natürlich im Raum: entstanden beide Produktionen als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine? „Ja“, so die Dramaturgin. „Die Idee zum Stück kam uns im letzten Jahr. Leon Pfannenmüller hat sich aber auch schon vor den Ereignissen in der Ukraine damit beschäftigt, inwieweit Teile seiner Familie in den Zweiten Weltkrieg involviert gewesen sind. Sicher sind die zwei Stücke von den aktuellen Geschehnissen beeinflusst, die aktuelle Kriegssituation in der Ukraine spült auch das Unheimliche in der Vergangenheit wieder hoch und stellt Fragen nach Wissenslücken in den Familiengeschichten.“

Zweifelsohne sind es emotionale Themen, die in den zwei Produktionen besetzt werden. Doch die Stücke stellen dem auch eine kleine Ebene des Humors entgegen: Hannah Baumann: „Wir möchten den ganzen Verwerfungen und Fragen auch mit etwas Positivem begegnen – und Humor ist immer eine Möglichkeit, sich schlussendlich schwierigen Situationen stellen zu können.“

Blut: am 03.05. (Premiere), 09.05. und 30.05. / Spuren: am 04.05. (Premiere), 10.05. und 31.05 um jeweils 20 Uhr im Theaterhaus Jena. Am 11.05. und 01.06. findet eine Doppelvorstellung statt, an der beide Stücke an einem Abend gezeigt werden. Weitere Informationen und Karten sind zu finden unter www.theaterhaus-jena.de!

Text: Michael Stocker
Teaserfoto: Joachim Dette
Dieser Text erschien in Ausgabe Nr. 159 im Stadtmagazin07.