Theater in Bewegung: Suche nach dem gemeinsamen Nenner

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Das Tanztheater-Festival „Theater in Bewegung“, welches nicht nur am Theaterhaus Jena, sondern durch Walking Acts auch im Stadtbild sichtbar sein wird, steht in seiner neuesten Ausgabe unter dem Motto „Körper – Von Konflikten zum Vergnügen – Auf der Suche nach einem common ground“. Acht Tage lang gibt es beeindruckenden Tanz und intensive Performances zu sehen.

Lassen sich in Krisenzeiten, die auch immer Zeiten der Polarisierung sind, endlich wieder Gemeinsamkeiten finden? Nach welchen Perspektiven können wir Ausschau halten, die das Trennende und Isolierende in den Hintergrund rücken lassen und das Verbindende in den Vordergrund stellen? Dieser Frage geht das Tanztheater-Festival „Theater in Bewegung“ vom 01.11. bis 08.11. am Theaterhaus Jena nach.

Maya Gomez, Tänzerin und neben Jasmin Avissar und Lukas Pergande eine der Kuratorinnen des Tanzfestivals, gibt uns Einblicke in die insgesamt neun Inszenierungen und beschreibt die Faszination, die Tanztheater ausüben kann: „Tanz besteht aus Leidenschaft, aus Schmerz, aus Humor, aus Energie. Dies auf der Bühne zu erleben, ist stets ein Vergnügen und große Kunst. Zudem ist Tanz eine universelle Sprache. Im Gegensatz zum klassischen Theater, bei dem naturgemäß mit viel mit Stimme und Sprache gearbeitet wird, beschränkt sich Tanz auf den körperlichen Ausdruck. Eine eventuelle Sprachbarriere fällt also weg, das macht den Zugang zu allen Stücken zunächst sehr einfach.“

Zu den Highlights des diesjährigen Festivals gehören zweifelsohne die beiden Walking Acts „Twin Hunters Corporation“ und „Tracing Jena“, letztere unter Mitwirkung der Kuratorin Jasmin Avissar. Beide Acts werden eine Performance mitten in der Stadt liefern. Gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern zieht das Publikum von Ort zu Ort und ist zur Interaktion eingeladen – neugierige Blicke sind garantiert!

Natürlich sind auch alle weiteren Inszenierungen sehenswert. In „Rave:Turnaround“ geht es direkt in die Techno-Szene Ostdeutschlands Anfang der 90er Jahre. „Treibgut“ wirft einen Blick auf verschüttete Erinnerungen, die nach Jahrzehnten des Vergessens wieder schmerzhaft an die Oberfläche dringen können. Und die Performance „DEKAdance“ nimmt sich unseres dekadenten Lebens an. Führt uns dieser Lebensstil weiter voneinander weg als zu uns hin?

Neben den eigentlichen Tanztheater-Stücken gibt es mit „DanceAbility“ am 05.11. und „Wahr-Nehmen“ am 08.11. auch zwei Workshops, die allen Interessierten das Thema „Tanz“ als Performance und Mittel zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit näher bringen möchten.

Auf assoziative und spielerische Weise wird in der Performance den Spuren der frühen Romantiker*innen in Jena gefolgt und dabei ihr Einfluss auf unsere Art zu denken und zu interagieren untersucht. Die Performance führt das Publikum an sorgfältig ausgewählte Orte und schafft durch Bewegung, Tanz und Interaktion mit dem öffentlichen Raum neue Erzählstränge. Am Ende der Performance sind die Teilnehmer*innen zu einer gemeinsamen „Denkrunde“ mit den Künstler*innen und der Zeithistorikerin und Kunstvermittlerin Karin Schneider eingeladen.

Das Ausgangsthema für die Performance „Beef“ ist die Erzählung zu „Kain und Abel“. Die Eifersucht des einen Bruders bedeutet den Tod des Anderen. Wie lässt sich dieses biblische Eifersuchtsdrama ins Heute projizieren? Wie hätte es verhindert werden können? Das Tanzkonzert legt die Geschichte in die Gegenwart und bringt durch die Ausgangssituation eines Live-Konzerts einen Fokus auf die Musik, die neben der Sprache des Tanzes Mittel des Ausdrucks wird.

„Beef“ bedeutet im Hip-Hop-Jargon eine aggressive verbale Auseinandersetzung zweier Rapper, die offen über Medien, vor allem aber über ihre Musiktexte ausgetragen wird. Im gleichnamigen Tanztheaterstück werden dazu Parallelen gezogen.
Foto: Admill Kuyler

Ausgehend vom hebräischen Wort amen – „gewiss, wahr“ – untersucht die Performance die Verflechtung von Körper und Authentizität, von Erscheinung und Wahrheit: Wo enden Erziehung und Kultur, wo beginnt Natur und Anlage? Gleichzeitig Gebet und innere Reise, eröffnet „amən“ mit Bewegung, Klang und Video einen meditativen Raum, der neue Perspektiven auf Gender-Repräsentation und das Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Ordnungen und Selbstbild erschließt.

Szene aus „amən“.
Foto: Lorenzo Crovetto

Die choreografische Atmosphäre Inter-Space beschäftigt sich mit dem Dazwischen. Eine aktive Materialisierung, eine Einladung, sich intersubjektiv mit allem zu verbinden, was war, ist und sein wird: Wenn wir dem Leben des Anderen Aufmerksamkeit schenken – kann das Andere dann auf geheimnisvolle Weise in uns selbst gegenwärtig werden? Kreative Physikalität und elektronische Klänge verschmelzen zu sich öffnenden Zwischenräumen. Das Publikum ist eingeladen, sich öffnende Zwischenräume zu betreten und – wenn nötig – seine Positionen und Perspektiven neu zu ordnen.

In dem Tanzsolo Rave:Turnaround widmet sich die Choreografin und Tänzerin Mandy Unger aka. M.over dem ostdeutschen Transformationsprozess der 1990er Jahre. Techno und die dazugehörigen Raves wurden in Ostdeutschland zu einem kollektiven Bewältigungsraum zwischen Neubeginn und Untergang. Viele Menschen zog es in die leerstehenden Fabrikhallen, in denen zuvor im Takt gearbeitet wurde, um nun in ambivalenter Stimmung zu toben und zu tanzen. Das Phänomen „Wende“ wird hier nicht nur historisch betrachtet, sondern auch wortwörtlich genommen und körperlich untersucht.

In „Rave:Turnaround“ geht es auch um Techno und die dazugehörigen Raves im Osten der Republik kurz nach der Wendezeit.
Foto: Alexander Mutschke
Unsere dekandente Welt wird in „DEKAdance“ verhandelt.
Foto:Varvara Kandaurova

Flüchtige Vergnügen, der Druck auf Individualismus und die ständige Suche nach sofortiger Befriedigung führen zu Entfremdung, Oberflächlichkeit und dem Verlust authentischer Beziehungen. Das Stück „DEKAdance“stellt Fragen nach Zeit, Vergänglichkeit, Werten und Prioritäten einer Generation, die zwischen digitaler Beschleunigung und innerer Leere oszilliert.

Die Darsteller*innen schlüpfen in die Rolle kapitalistischer Unternehmer*innen und vermarkten das verlockende Angebot der Twin Hunters Corporation: Vertraue uns und lebe ein Leben frei von Schuld und Verantwortung. Die ultimative Lösung all deiner Probleme! Und auch wenn es manchmal schwerfällt die Twin Hunters ernst zu nehmen, so sind sie stets bemüht ihre Botschaft unters Volk zu bringen. Die Performance hat sechs verschiedene Szenen, die an jeweils verschiedenen Orten stattfinden. Die Darsteller*innen und das Publikum ziehen gemeinsam von Ort zu Ort.

„Twin Hunters Corporation“ ist als Walking Act auch im Stadtbild von Jena zu sehen.
Foto: Simun Bucan
Szene aus „Matriarchs“.
Foto: Jubal Battisti

Matriarchs erforscht das Bild des Weiblichen. Zwischen Tanz und Verkörperung, zwischen Tradition und Moderne, werden Rituale beleuchtet: zum einen in ihrer Funktion, zum anderen in ihrer gemeinschaftsstiftenden Kraft. Der weibliche Körper steht hier als Repräsentant, als Projektionsfläche von Idealen – mit der Macht, zu entscheiden, ob er verschleiert oder enthüllt wird, ob neues Leben entsteht oder endet. Eine Macht, die überall auf der Welt infrage gestellt, doch zugleich gefeiert wird.

Herta, geboren 1926 in Kärnten, erlebt Krieg, Widerstand und frühe Verantwortung. Jahrzehnte später bricht ihre Alzheimer-Erkrankung verschüttete Erinnerungen von Krieg und Gefangenschaft auf. Und Hertas Enkelin Moira muss sich unverarbeiteten Traumata der Familie stellen, so schmerzhaft das auch ist. Ein Tanz-Theater-Stück zum Thema Erinnerung, Trauma und Identität. Ernst, aber nicht todernst.

Theater in Bewegung: vom 01.11.-08.11.2025 am Theaterhaus Jena. Alle weiteren Informationen sowie Tickets sind zu finden unter www.theaterhaus-jena.de/theater-in-bewegung!

Text: Michael Stocker
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 174 im Stadtmagazin 07.