Winterzeit ist bekanntlich Lesezeit. Ein behagliches Plätzchen, eine Kanne warmen Tee und ein gutes Buch – mehr braucht es häufig nicht, um es sich in der dunklen Jahreszeit gut gehen zu lassen. Grund genug, Sie hier zusätzlich zu den allmonatigen Büchertipps unserer Printausgabe noch mit ein paar zusätzlichen Leseempfehlungen zu versorgen.
Moderne Mutterschaft: Rachel Yoders „Nightbitch“
Als dieser Erstlingsroman vor zwei Jahren in den Vereinigten Staaten erschien, schlug er ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Rauf und runter besprochen wurde Rachel Yoders „Nightbitch“, gelobt, mit Anerkennung überhäuft, mehrfach zum besten Buch des Jahres gewählt und, wie es heißt, mittlerweile auch verfilmt. Ein Romandebüt nach Bilderbuchmaß – welches nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt.
Aber was genau ist es, das so dermaßen umfassend die Aufmerksamkeit des lesenden Amerikas auf sich gezogen und nun auch alle Chancen hat, auf dem hiesigen Buchmarkt für Aufsehen zu sorgen? Das Cover? Ist zwar auch ein Hingucker – der wahre Bringer ist jedoch die Story, die Rachel Yoder hier entwirft. In „Nightbitch“ dreht sich alles um eine junge Frau, die nach vollbrachter Mutterschaft in einen existentiellen Zwiespalt gerät. Eben war sie noch erfolgreiche Galeristin mit aufregendem Berufsleben und allen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, jetzt darf-will-muss sie parallel dazu noch die Rolle der Vollzeitmutter einnehmen. Jenen Knochenjob zwischen Holzeisenbahn und Lätzchen, für den sie sich aus vollem (Mutter)Herzen entscheidet. Der sie aber auch zunehmend an ihre Grenzen bringt – nicht nur, weil ihr Mann alles andere als eine wertvolle Unterstützung ist, sondern auch weil sie sich eingestehen muss, dass anders als es das vielfach verbreitete Bild der modernen Mittelklasse-Mutter vermitteln will, sie nicht gleichzeitig in ihrer Karriere und als Mutter aufgehen kann. Also entscheidet sie sich, ihren Beruf aufzugeben, eben nur noch Mutter zu sein – muss jedoch feststellen, dass dies nach und nach spürbare, nein, sogar sichtbare Veränderungen in ihr auslöst: Sie beginnt zu knurren und zu bellen, wenn sie wütend wird, ihre Eckzähne werden länger und schärfer, Haare wachsen dort plötzlich büschelweise, wo sonst nie Haare waren, irgendwie scheint an ihrem Steiß sogar ein Schwanzansatz durchzubrechen. Mehr noch, je stärker sich die Frau auf diese Verwandlung einlässt, je tiefer sie in das animalische Wesen, das in ihr ruht, eindringt, desto inniger gestaltet sich die Beziehung zu ihrem Sohn. Der alsbald auch lieber im Hundekorb schläft und statt Joghurt und Cornflakes rohes Fleisch zum Frühstück einfordert. Irgendwann kehrt der Ehemann von einer seiner vielen Dienstreisen zurück und findet den Sohnemann in inniger Umarmung mit einem riesenhaften Hund, der sich dann in die Abenddämmerung verabschiedet – und erst im Morgengrauen als Mutter und Ehefrau zurückkehrt…
Rachel Yoder hat mit ihrem unglaublich klugen, wild und urkomisch erzählten, zwischen Realismus und Fantasie pendelnden Roman einen ureigenen, faszinierenden Weg gefunden, jene widerstreitenden Kräfte widerzuspiegeln, die moderner Mutterschaft innewohnen. „Nightbitch“ ist roh, trocken ironisch, völlig unorthodox und sicher auch nichts für Zartbesaitete, vor allem aber ein Buch, das einen nicht unberührt lässt – und damit beste Chancen hat, auch in Deutschland für Furore zu sorgen.
Rachel Yoder: „Nightbitch“
Klett-Cotta, 304 Seiten (geb.)