Flimmern und Rauschen

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Im Februar vor 100 Jahren stellte der Schotte John Logie Baird den ersten wirklich funktionierenden Fernsehapparat vor. Er brachte auch den mechanischen Fernseher „Televisor“ auf den Markt. Olaf Neumann und Sabine Göttel über die Anfänge einer einzigartigen Erfolgsgeschichte.

Von Olaf Neumann und Sabine Göttel

Paul Julius Gottlieb Nipkow legte das Fundament. 1883 konstruierte der deutsche Ingenieur so etwas wie den mechanischen Urfernseher, als er an Heiligen Abend allein in seinem möblierten Zimmer in Berlin vor einer Petroleumlampe sich hintüftelnd ein elektronisches Teleskop erfand: Die spiralförmig gelochte „Nipkow-Scheibe“ zerlegte Bilder durch Rotation in Hell-Dunkel-Signale und setzte sie anschließend wieder zusammen.

Frontblatt der Fachzeitschrift „Science and Invention“ mit einer Darstellung von J. L. Bairds Erfindung – gut erkennbar: die „Nipkowscheibe“.
Foto: Flickr.com@Ceci Newton

Auf Grundlage dieser „Nipkow-Scheibe“ entwickelte 30 Jahre später wiederum der schottische Erfinder John Logie Baird in einer Werkstatt in der Queens Arcade in London den ersten voll funktionierenden Fernsehapparat – aus einer alten Hutschachtel, gebrauchten Umzugskartons, einer Schere, Stopfnadeln, ein paar Fahrradlampen, Siegelwachs und Klebstoff. Im darauffolgenden Jahr – im Februar 1924 – demonstrierte der damals 35-Jährige vor Reportern der Radio Times erstmals sein halbmechanisches analoges Gerät, welches in der Lage war, bewegte flackernde Schattenbilder zu übertragen. Bald darauf glückte ihm auch eine konturierte Wiedergabe.

Dank öffentlicher Vorführungen seiner Erfindung konnte er Unterstützer finden und 1926 die Baird Television Development Company gründen. 1927 gelang Baird dann die Langstreckenübertragung eines Fernsehbildes von London nach Glasgow über eine Telefonleitung zu einem Kurzwellensender. Die Strecke betrug 707 Kilometer. 1928 vollbrachte er schließlich die erste transatlantische Übertragung eines Fernsehbildes von London nach Hartsdale/New York. Noch im gleichen Jahr gelang es ihm mit Hilfe von synchron rotierenden Farbfiltern vor Kamera und Empfänger erstmals 12,5 farbige Bilder pro Sekunde zu übertragen. Bairds Verfahren wurde für einige Jahre zum Standard sowohl bei der BBC als auch der Berliner Fernseh-AG.

Trägt einen wesentlichen Anteil an der Entstehung der Flimmerkiste: der schottische Erfinder John Logie Baird (1888 – 1946)
Foto: Wikipedia

Jon Logic Baird vermarktete seine Erfindung unter dem Namen „Televisor“. Derartige Televisoren wurden zwischen 1928 und 1935 mit einer Auflösung von 30 Zeilen sowohl als fertige Geräte als auch als Bausätze angeboten. Letzterer kostete in Deutschland um 1930 etwa 30 Reichsmark. 1930 markiert auch den Zeitpunkt, an dem der deutsche Physiker Manfred von Ardenne mit der Umsetzung einer revolutionären Idee den Übergang zur vollelektronischen Fernsehübertragung vollzog: Für die erste drahtlose Transmission von Bildern mittels Radiowellen am 14. Dezember 1930 in seinem Laboratorium Berlin-Lichtenberg setzte er die zuvor von Karl Ferdinand Braun entwickelte Kathodenstrahlröhre (Bildröhre) ein: Der Röhrenfernseher war geboren. Eine Sensation, denn mit dieser innovativen Technik ließen sich Bilder deutlich präziser übermitteln, wobei schnelle Bewegungen für den Zuschauer überhaupt erst erfassbar wurden.

Museumsmodell von Bairds „Televisor“, konstruiert um 1930.
Foto: Flickr.com©Ceci Newton

Baron von Ardenne, dessen Erfindungen nicht nur in der Funk- und Fernsehtechnik bahnbrechend waren, führte sein neues Verfahren 1931 auf der Funkausstellung in Berlin vor und schaffte es damit auf das Titelblatt der New York Times. Ab 1934 war dann die Übertragung von Fernsehsendungen mit Bild und Ton technisch möglich. Ein Jahr später ging in Berlin-Witzleben der erste öffentliche TV-Sender der Welt an den Start. In Rückbesinnung auf den Erfinder der ‘Flimmerscheibe‘ erhielt dieser den Namen „Fernsehsender Paul Nipkow“.

Im Nationalsozialismus wurden Einsatz und Verbreitung des Fernsehens zu einer Frage des nationalen Prestiges. Denn auch die BBC arbeitete an der Weiterentwicklung des Mediums und konnte bereits kurz nach dem sensationellen Weltstart der Deutschen mit technisch weit ausgereifteren Fernsehbildern punkten. In Großbritannien startete ein regelmäßiges öffentliches Fernsehprogramm im Jahr 1936; Frankreich folgte 1937, die USA 1939.

Die Olympischen Spiele boten 1936 die Chance, die neuen Übertragungsmöglichkeiten erstmals bei einem internationalen Großereignis auszuprobieren. Um den Charakter der Unmittelbarkeit bei der Übertragung der Wettkämpfe zu steigern, entwickelte Telefunken eigens für die Olympischen Spiele die erste fahrbare Großkamera mit verbesserter Leistungsfähigkeit. Interviews rund um das sportliche Geschehen konnten zudem mit dem sogenannten „Fernseh-Sprechdienst“ per Ferngespräch aus Telefonzellen heraus auch visuell verfolgt werden, indem der Gesprächspartner im Bild zu sehen war – ein früher Vorläufer von Bildtelefonie und Skype-Verfahren.

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs stand die Verbesserung der Bildqualität im Mittelpunkt der Forschung. Wenn sich das Fernsehen als Massenmedium gegen das Kino behaupten sollte, musste das störende Flimmern beseitigt oder zumindest reduziert werden. Mit optischen Tricks wie dem heute noch gebräuchlichen Zeilensprungverfahren konnte man die Illusion einer höheren Bildfrequenz pro Minute erzeugen – Voraussetzung für den Eindruck einer fließenden Abfolge der Bilder.

Auch das Projekt „Fernsehen im heimischen Wohnzimmer“ erhielt noch vor dem Krieg entscheidende Impulse. Auf der Berliner Funkausstellung 1939 präsentierte man den „Deutschen Einheits-Fernsehempfänger E1“ mit der innovativen, zimmertauglichen Rechteckbildröhre, die einen Sitzabstand von zwei Metern zum Gerät ermöglichte. Kostenpunkt: 650 Reichsmark.

Deutscher Spiegelfernseher Telefunken FE V von 1936/37. Auf dem Bildschirm ist das Standbild des Fernsehsenders Paul Nipkow des Deutschen Fernseh-Rundfunks zu sehen.
Foto: Eckhard Etzold /wiki.jpeg

Der Krieg verhinderte die geplante Serienherstellung, lediglich 50 bereits produzierte Geräte wurden an Lazarette geliefert. 1939 kam das vorläufige Aus für die europäische Fernsehindustrie: Man prüfte die Fernsehtechnik lediglich auf militärische Verwendbarkeit, wie etwa in der Luftaufklärung. Im besetzten Frankreich gab es zu Propagandazwecken ab 1942 noch einen „Fernsehsender Paris“; 1944 wurde das Fernsehprogramm allerdings im gesamten Reichsgebiet eingestellt.

Nach 1945 stand das deutsche Fernsehen wie auch die Presse, der Rundfunk und der Film unter Besatzungsrecht. Nach und nach wurden neue Sendeanstalten unter der Kontrolle der Besatzungsmächte errichtet. 1950 kam es beim Zusammenschluss aller Landesrundfunkgesellschaften in den Westzonen zur Entstehung der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ (ARD), die schließlich am 25. Dezember 1952 ihren regulären Sendebetrieb aufnahm. Bereits vier Tage früher konnte man auch in der DDR wieder Fernsehbilder empfangen.

Grundsätzlich fristete das Fernsehen in den 1950er Jahren eher noch ein Nischendasein im deutschen Kulturbetrieb; kaum jemand konnte sich einen Apparat leisten, dessen Anschaffungspreis mit ca. 1.000 Mark weit über einem Monatsgehalt lag. Dennoch setzte eine Diskussion ein, ob das neue Medium dazu beitrage, dass sich Menschen von Geistes- zu Augenmenschen zurückentwickeln.

Seine euphorisierende Wirkung auf die Massen bewies das Fernsehen erstmals 1953, als die Krönung Elisabeths II. elf Stunden lang europaweit gesendet wurde. Ein Jahr später war es wiederum die Übertragung der Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft aus Bern, die Tausende an die Geräte in Gaststätten und Freizeitheimen lockte.

Wohl eine der Erfindungen des 20. Jahrhunderts schlechthin – und heute Fluch und Segen zugleich: der Fernseher.
Foto: Flickr.com@Ceci Newton

Endgültig eroberte der Bildschirm die heimischen Wohnzimmer dann in den 1960er Jahren, als der allgemeine Wirtschaftsaufschwung in der BRD den meisten Familien den Kauf eines eigenen Geräts ermöglichte – seit der Internationalen Funkausstellung 1967 auch in Farbe. Seither bestimmt der Fernseher das Freizeitverhalten der Deutschen in erheblichem Maße. Die seit 1975 übliche bequeme Fernbedienung, die Verlockungen des Werbe- und Privatfernsehens, ein Rund-um-die Uhr-Sendebetrieb, Mediatheken im Internet und nicht zuletzt die überdimensionalen Flachbildschirme, die den Kinobesuch überflüssig machen, erzeugen die Illusion des Fernsehens als ständig präsentem und unverzichtbarem Begleiter des modernen Menschen. Niemand muss sein Heim mehr verlassen, um umfassend informiert und unterhalten zu sein. Es scheint, als sei das Fernsehen immer schon an unserer Seite gewesen.

Dieser Text erschien in Ausgabe Nr. 156 im Stadtmagazin07.