Jedes Türchen ein Pläsierchen: Der Stadtmagazin 07-Adventskalender –

650

Sie brauchen dieser dunklen Tage mal wieder frische Lektüreideen? Wissen wieder einmal nicht, was verschenken an Weihnachten? Ein Buch geht immer – und Vorschläge haben wir reichlich. Bis zum 24. Dezember öffnen wir hier täglich ein weiteres Türchen, um Ihnen eines jener Bücher mit dem besonderen Etwas vorzustellen, die dieses Jahr das Licht der Welt erblickt haben. Kommen Sie mit uns auf Adventslese – möglicherweise werden Sie ja fündig. Hinter Türchen Nr. 11 zum Vorschein kommt:

Hiromi Itō: »Dornauszieher«

Hiromi Itō: „Dornauszieher“
Matthes & Seitz Berlin, 336 Seiten (geb.)

Gelassen, pointiert und humorvoll

Großartige Literatur aus Japan gefällig? Die ganz zufällig einmal nicht vom hierzulande allseits bekannten Haruki Murakami stammt? Hiromi Itō (geb. 1955) zählt in ihrer Heimat schon seit vielen Jahren zu den wichtigsten Autorinnen der Gegenwart. In den 1980er Jahren hatte sie sich zunächst als innovative Lyrikerin mit damals noch sehr ‘neuartigen‘ feministischen Themen (v.a. der weibliche Körper, weibliche Sexualität, der Prozess des Gebärens, komplizierte Verhältnisse mit Müttern und Männern) sowie einer außergewöhnlichen Wortwahl einen Namen gemacht. 1997 siedelte sie in die USA über und gründete dort mit dem Maler und Grafiker Harold Cohen und ihren drei Töchtern eine neue Familie. Etwa zeitgleich begann sie ihren Themenkreis auch zunehmend auf Prosatexte und Essays auszuweiten, was ihre Bekanntheit als Literatin zumindest in Japan noch einmal erheblich ausweiten sollte.

Beinahe jeder namhafte japanische Literaturpreis wurde Hiromi Itō für ihr stetig wachsendes dichterisches Werk seither verliehen. Mit dem 2007 erstmals veröffentlichten und nun auf Deutsch erschienenen Roman „Dornauszieher“ hat sie nun auch gute Chancen, sich auf dem hiesigen Buchmarkt einen Namen zu ‘machen‘. Dazu dürfte sicher auch die stark autobiografisch geprägte Geschichte beitragen, die Itō hierin erzählt.

Ausgerollt wird in „Dornauszieher“ der Alltag einer Frau, die alle Mühe hat, ihre verschiedenen Rollen so auszubalancieren, dass sie selbst nicht aus dem Lot gerät. Da sind die stark pflegebedürftigen Eltern, für die sie regelmäßig zwischen den Kontinenten hin und her, da ist der vor sich hin kränkelnde, fast 30 Jahre ältere, ewig streitlustige Lebenspartner, der ihre Aufmerksamkeit einfordert und die dreier Töchter, deren Essstörungen und Pubertätssorgen nicht minder Zuwendung bedürfen. Überdies noch verschiedene unfallanfällige Haustiere – und zu guter Letzt natürlich auch noch irgendwo ihr eigenes berufliches Dasein als erfolgreiche Schriftstellerin und Intelektuelle, das bitte auch nicht zu kurz kommen möchte.

So weit, so (un)gewöhnlich. Ein Leben zwischen den Kontinenten, Kulturen, Generationen; der Alltag einer Frau, die sich zunehmend im Netz ihrer Verpflichtungen gefangen fühlt – und es mit viel Energie und einer gehörigen Portion Selbstreflexion doch irgendwie schafft, ihre eigene Identität vor größeren Beschädigungen zu bewahren.

Es ist letztlich vor allem die Art und Weise, wie Hiromi Itō diese Geschichte dem Lesenden vorträgt, die „Dornauszieher“ zu einem Roman mit magischer Anziehungskraft macht. Nahezu jedes Absatz, jeder Satz, ja jedes Wort erscheint hier pointiert und überaus präzise gesetzt und entfaltet eine Wirkung, die sich am besten mit nüchtern-trocken einerseits und humorvoll andererseits umschreiben lässt. Immer wieder blitzt und scheint unter der lakonischen Erzählweise ihrer Romanheldin eine genüssliche Portion Ironie auf, mit der sie all den Situationen begegnet, die auf sie einstürzen – mitunter sogar momenthaft ins Tragische oder Absurde kippen. Dadurch gewinnt das Buch eine derart perfekt ausbalancierte Kraft des ‘inneren Lächelns‘, dass man es als Lesender gar nicht mehr aus der Hand legen mag und sollte. Lohnt sich.