Jedes Türchen ein Pläsierchen: Der Stadtmagazin 07-Adventskalender –

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Sie brauchen dieser dunklen Tage mal wieder frische Lektüreideen? Wissen wieder einmal nicht, was verschenken an Weihnachten? Ein Buch geht immer – und Vorschläge haben wir reichlich. Bis zum 24. Dezember öffnen wir hier täglich ein weiteres Türchen, um Ihnen eines jener Bücher mit dem besonderen Etwas vorzustellen, die dieses Jahr das Licht der Welt erblickt haben. Kommen Sie mit uns auf Adventslese – möglicherweise werden Sie ja fündig. Hinter Türchen Nr. 24 zum Vorschein kommt:

Maurice Leblanc/Annika Siems (Ill.): »Arsène Lupin. Der Gentleman-Gauner«

Maurice Leblanc/Annika Siems (Ill.):
„Arsène Lupin. Der Gentleman-Gauner“
Büchergilde Gutenberg, 240 Seiten (geb.)

Der Dieb als Künstler als Kultfigur

Wäre es nach Maurice Leblancs Vater gegangen, hätte Arsène Lupin, der französische Meisterdieb nie das Licht der Welt erblickt. Émile Leblanc Wunsch war, dass sein Zweitgeborener sich in einer Kartonfabrik verdingen möge, Maurice jedoch hatte andere, eigene Pläne – weder wollte er in seiner Heimatstadt Rouen bleiben, noch in einer Fabrik arbeiten. Seine Berufsvision lautete: schreiben und war ohne Zweifel auch dem Umgang geschuldet, den er als Jugendlicher pflegte – wer viel Freizeit mit Menschen wie Gustave Flaubert und Guy de Maupassant verbringt, will zwangsläufig auch Schriftsteller werden. Natürlich nicht irgendwo, sondern wenn schon, dann gleich in Paris.

Also zog Leblanc nach Paris und begann zu schreiben, versuchte sich parallel als Journalist, als Romancier und als Bühnenautor. Der Erfolg war: bescheiden. Seine Ergüsse (eine knappe Handvoll Romane und ein Drama) werden durchaus mit Wohlwollen und guten oder gar lobenden Worten bedacht, sind aber leider überhaupt kein Kassenerfolg. Den bringt ihm erst eine Auftragsarbeit ein. 1905 bittet ihn der Herausgeber eines Monatsmagazins um eine Kurzgeschichte, gern im Stile jener Sherlock Holmes-Geschichten von Arthur Conan Doyle, wie sie gerade ein jeder las. Maurice Leblanc überlegte kurz und fand in der Figur des Arsène Lupin das perfekte Gegenstück zum Meisterdetektiv: den Meisterdieb. Die Leserschaft war begeistert. Ein krimineller Anti-Superheld, ein ausgebuffter Einbrecher mit überragender Intelligenz, ein Ass der Verkleidung und Maskierung, der nur in den feinsten Kreisen verkehrt und natürlich auch genau diese bestiehlt. Ein schurkisch-charmantes Superhirn mit quasi seherischen Fähigkeiten und vorausschauendem Blick für noch so kleine Details, der zwar nicht anders ‘kann‘ als an alles, was funkelt, glänzt und/oder von Wert ist, Hand anzulegen, dank eines perfekt austarierten moralischen Kompasses jedoch stets davor gefeit ist, zur Erreichung seiner kriminellen Ziele Gewalt anzuwenden oder auszuüben. Lupin ist ein Schlitzohr, das nicht mehr als die eigene Finesse braucht, um die ins Visier genommene Beute alsbald in Händen zu halten. Auf eine derartig faszinierende Trickster-Figur hatte die lesende Welt der Jahrhundertwende nur gewartet. Gerade auch, weil diese sich stets nur bei den Reichen bediente.

Vom durchschlagenden Erfolg der ersten Arsène Lupin-Geschichte beflügelt, widmete Maurice Leblanc sich fortan nur noch der Entwicklung weiterer Forstsetzungen, in denen er den Gentleman-Gauner weitere große Coups landen lässt. 20 Romane, zwei Theaterstücke und eine kaum erfassbare Anzahl an Kurzgeschichten widmete er in den folgenden drei Jahrzehnten seiner Lieblingsfigur – der damit zu einem festen und geradezu kultisch verehrten Bestandteil des europäischen Literaturbetriebs im ersten Viertel des 20. Jahrhundert avancierte.

Knapp einhundert Jahre später ist es höchste Zeit für eine Wiederentdeckung bzw. Neubelebung des Arsène Lupin-Kults. Das dachte sich Netflix und brachte mit „Lupin“ eine überaus beliebte gleichnamige Serie heraus; das befand auch die auf wunderbar illustrierte Bücher spezialisierte Büchergilde Gutenberg und bat eine der renommiertesten Illustratorinnen des Landes, Annika Siems, neun für eine edle Sammelband-Ausgabe bestimmte Klassiker-Erzählungen Maurice Leblancs illustrativ auszuschmücken.

Eine der für „Arsène Lupin“ angefertigten Illustrationen
Bild: Annika Siems/Büchergilde

Das Ergebnis liegt nun mit „Arsène Lupin. Der Gentleman-Gauner“ vor, ein in Leinen gebundenes, aufwendig gestaltetes Kleinod, dessen jeder bibliophil veranlagte Mensch wahrscheinlich sogleich Arsène Lupin-gleich habhaft werden will – ja werden muss! Annika Siems hat in der ihr eigenen und ungemein an die herrlichen Bilderwelten eines Hans Hillmanns erinnernden Aquarelltechnik jeder der neun hier versammelten Arsène Lupin-Geschichten (ganz großartig übrigens die letzte Erzählung, in der der Meisterdieb Sherlock Holmes düpiert) eine in schwarz-weiß gehaltene kleine Bilderstrecke vorangestellt, die gar nicht einmal so konkret auf das Erzählgeschehen eingehen als vielmehr Stimmung und Kulisse erzeugen – und erschafft so mit wenigen Pinselstrichen genau die Atmosphäre, die es braucht, um dem großen Gentleman-Gauner bestens ‘gestimmt‘ auf seinen abenteuerlichen Diebeszügen zu begleiten. Kurzum: Das ist Buchkunst vom Feinsten.