Cortex

975

Ein Gespräch mit Regisseur und Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu

Moritz Bleibtreu in »Cortext«
(Foto: Warner Bros)

Der Mystery-Thriller »Cortex«, der am 22. Oktober in den bundesdeutschen Kinos startet, markiert das Debüt des beliebten Schauspielers Moritz Bleibtreu (49) als Autor, Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion. Erzählt wird die Geschichte des Kaufhausdetektivs Hagen, dessen Schlafstörung (Hypersomnie) die Grenzen zwischen Traum und Tag zunehmend verschwimmen lässt – mit fatalen Folgen.

Herr Bleibtreu, haben Sie sich mit diesem Film einen lang gehegten Traum erfüllt?

Moritz Bleibtreu: Ja, das kann man schon so sagen. Ich wollte immer schon Regie führen und ich habe auch immer schon geschrieben. Ich wusste halt jahrelang nicht genau, ob mein Geschreibsel gut genug ist oder nicht. Es gab Tage, an denen ich gesagt habe: »Ja, das mach’ ich jetzt!«. Dann habe ich das Buch wieder verworfen und eine andere Geschichte entwickelt. Irgendwann hat man bei Warner gesagt, dass man diesen Stoff gut findet und realisieren will. Das hat mir quasi den letzten Anschub gegeben: »Jetzt aber auch wirklich«. Es ist schon ein kleiner Traum, der sich da erfüllt. Ich habe irgendwann angefangen, mir etwas aus den Fingern zu saugen. Und jetzt steh ich da und es ist ein Film daraus geworden. Das ist schon irre. 

Wie viele schlaflose Nächte hatten Sie während der Arbeit am Film und warum?

Bleibtreu: (lacht) Ja, diese Nächte gab es schon. Dabei ging es gar nicht so sehr um die Arbeit als Regisseur und die ständigen Selbstzweifel, die irgendwo hervorkriechen. Das natürlich auch. Aber viel schlimmer sind diese pragmatisch komplizierten Dinge, die das Filmemachen mit sich bringt und die man erst erlebt, wenn man auf der anderen Seite der Kamera tätig wird. Wann drehst Du wo? Wir können dieses Motiv nicht bekommen, weil es zur gewünschten Zeit plötzlich nicht mehr zur Verfügung steht. Diese ganz praktischen Sachen, die du als Schauspieler, der immer nur an das fertig ausgeleuchtete Set kommt, so nie mitbekommst. Sich mit diesen Widrigkeiten auseinanderzusetzen, aber trotzdem die gute Laune zu bewahren und den anderen die Zweifel nicht zu zeigen, die man hat, war schon sehr anstrengend. Gleichzeitig hat mir dieser Lernprozess unheimlich viel Spaß gemacht. 

Wie die Depression kann auch die Hypersomnie von nicht betroffenen Menschen kaum nachvollzogen werden. Wie kommt es, dass Sie sich mit der Materie so gut auskennen?

Bleibtreu: Ich selbst bin auch nicht der allerbeste Schläfer. Mittlerweile ist es besser, aber als ich jünger war, habe ich mich mit dem Einschlafen oft unheimlich schwergetan. Viel zu viel Kopfkino. Ich fand es schon relativ früh faszinierend, dass wir etwa 30 {1612cb4a9bff340f50f5784181d878f4c5a0a40b93c54e5180fa2f65557d53be} unseres Lebens verschlafen. Und in dem Moment, in dem wir einschlafen, betreten wir einen Kinosaal, in dem wir uns selbst eine Geschichte erzählen. Wir haben sie uns nicht aktiv selbst ausgedacht, sie entsteht einfach aus uns selbst heraus. Für einen Filmemacher und Erzähler ist das ein besonderes Faszinosum. Das spannendste Kino, das es überhaupt gibt, haben wir alle immer dabei! Ich habe mich mit Träumen beschäftigt und herausgefunden, dass die Wissenschaft nur sehr wenig darüber weiß. Das Thema hat mich immer mehr gefesselt. Es gibt Menschen, die luzide Träume haben und behaupten, dass sie sich selbst im Traum so sehr kontrollieren können, dass sie sich in einen Flieger nach Las Vegas setzen, um dort auf dem Strip Partys zu feiern. Und das jede Nacht. Das war einer der Beweggründe, die mich zu der Geschichte hingezogen haben. 

Und der andere?

Bleibtreu: Zum anderen greift der Film auch ein gesellschaftliches Phänomen auf. Ich glaube, dass es bei all unserem Wohlstand und dem Glück, das wir hier in Deutschland haben, immer noch sehr viele Leute gibt, die das Leben, das sie führen, so eigentlich gar nicht leben wollen. Man nimmt das so hin und sagt sich irgendwann, dass man eigentlich viel mehr gewollt hätte. Aber es ist jetzt halt nicht so. Der Film erzählt im Kern, dass du das bist, was du vorgibst zu sein. Und es liegt in deiner Hand, das vorzugeben, was du wirklich sein möchtest. Wenn du lange genug behauptest, dass du das bist, dann bist du es irgendwann auch wirklich. Das ist ein Paradox. Auf der einen Seite spricht man vom freien Willen: »Klar, wir können das alles machen!« Auf der anderen Seite haben wir oft nicht genug Mut, Muse, Liebe um tatsächlich zu dem zu stehen, was wir eigentlich wollen. Wir haben Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung oder davor, falsch wahrgenommen zu werden. Für mich als Schauspieler ist das von besonderer Bedeutung, weil ich einen großen Teil meiner Zeit damit verbringe, so zu tun, als wäre ich jemand anderes. Diese Teilbereiche ergeben allesamt einen abgefuckten Mystery-Thriller. Trotzdem sind es auch sehr persönliche Teile meines Lebens, die ich mit diesem Thema beackert habe. 

Welche gegenseitige Kritik mussten sich Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller Bleibtreu anhören?

Bleibtreu: Der Produzent wollte den Hauptdarsteller bis zuletzt überhaupt nicht haben. Er dachte, der ist doch kein Kauf-hausdetektiv. Der Hauptdarsteller hatte dann Zeit und hat gesagt, er macht das für ganz billiges Geld. Dann hat der Produzent gesagt, naja, für so wenig Kohle … Und vielleicht ist es ja auch nicht schlecht, jemanden zu haben, der ein bisschen berühmt ist. Alle haben sich irgendwie geeinigt. (lacht) Nein, ich wollte das wirklich nicht spielen und habe bis zum Schluss gesucht. Ich werde wohl nicht noch einmal ein Buch schreiben, ohne im Vorhinein zu wissen, wer die Rollen übernehmen soll. Sonst sucht man und sucht man. Und wir sind in Deutschland nicht gerade mit einer riesengroßen Riege von Schauspielstars Mitte 40 gesegnet. Irgendwann habe ich gesagt, ach komm, dann machen wir es halt. Am Ende sagt der Regisseur immer noch: »Perfekt besetzt ist er nicht«. Aber er ist zufrieden. Hat er ganz gut gemacht.

Haben Sie jetzt Blut geleckt, was das Filme-machen betrifft?

Bleibtreu: Das kann man so sagen. Wenn man mich lässt, würde ich gern noch mal einen machen. Ich hoffe mal. 

Vielen Dank für das Gespräch.